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Hilfstransport startet nach Belarus

 

Norbert Koch aus Grevesmühlen organisiert die Fahrt mit Kleidung und Krankenhausbetten in die Stadt Lida

 

Ob der Zeitpunkt nun politisch günstig ist oder nicht, es hilft alles nichts: „Wir müssen unbedingt fahren, weil wir so viel Kleidung haben. Die wird gebraucht.“ Das sagt Norbert Koch. Er ist Chef der „Lidahilfe“, ein Verein aus Grevesmühlen unter der Schirmherrschaft des Deutschen Roten Kreuzes.

Gerade bereitet er den nächsten Hilfstransport nach Belarus vor. Vier Lkws, vollgepackt mit Gütern im Wert von etwa 40 000 Euro, sollen sich am 20. August auf dem Weg von Grevesmühlen nach Lida machen. Eine Tour von zwei Tagen – wenn alles gut geht und der Zoll die Fahrzeuge passieren lässt. Am Steuer ehrenamtlich arbeitende Vereinsmitglieder. Die Hilfsgüter wurden gespendet.

Norbert Koch beim Verladen der Krankenhausbetten.Norbert Koch beim Verladen der Krankenhausbetten.Die Frage, warum die Güter ausgerechnet nach Belarus und nicht nach Süddeutschland gebracht werden, hat Koch in den vergangenen Tagen des Öfteren beantworten müssen. Das Hochwasser im Juli hatte dort viele Menschen wohnungslos gemacht. Nicht wenige haben alles verloren. Koch erklärt: „Wir sammeln in erster Linie Sachspenden. In Süddeutschland dagegen braucht es gerade Geld, vielleicht auch Lebensmittel. Kleidung oder Krankenhausbetten, so wie wir sie auf den Lkw haben, brauchen sie nicht und bitten auch darum, von Sachspenden vorerst abzusehen, weil die Helfer schon jetzt damit überfordert sind, alles zu sortieren und zu verteilen.“

Während die Hilfsbereitschaft für Süddeutschland groß ist, ist sie es für Belarus nicht. Nicht mehr. Das war einmal anders, erzählt Koch: Die „Lidahilfe“ gehe auf ein Versprechen des früheren Kanzlers Helmut Kohl zurück. Den abrückenden Soldaten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hatte er versprochen, in Belarus mit deutscher Hilfe Wohnungen zu bauen.

Und so zog 1993 auch ein Bautrupp aus Grevesmühlen nach Lida, um dort Häuser zu bauen. „Dabei haben die Helfer gemerkt, dass die Leute dort mehr brauchen, als nur ein Dach über dem Kopf. Und so wurde vor 28 Jahren der erste Transport zusammengestellt und rollt seitdem etwa zweimal im Jahr. Er selber sponserte anfangs einen Sattelzug seines Unternehmens, dem Fahrzeug Service Grevesmühlen. Später begann er, selber mitzufahren. Inzwischen sagt er: „Es ist für mich eine Lebensaufgabe. Meine Familie pflegt engen Kontakt mit einer Familie dort. Ihr Sohn ist so alt wie unser Sohn.“

Deshalb freut er sich, dass es endlich wieder losgeht, trotz ungewisser Lage: „Für uns ist spannend, wie sich alles verändert hat. Wir wissen nicht, wie streng die Behörden nun in dieser neuen politischen Situation nach den Parlamentswahlen sind. Es sind nur noch humanitäre Hilfstransporte zugelassen. Urlauber dürfen nicht mehr mit dem Auto einreisen. Aber grundsätzlich gilt: Aus allem Politischen halten wir uns raus.“

Ein ganzes Jahr lang sind die Transporte coronabedingt ausgefallen. „Die Leute rufen schon an und fragen, wann wir endlich kommen. Sie warten auf unsere Hilfe. Wir beliefern dort das Sozialamt, das ist fest eingeplant. Früher fuhren mehrere Hilfsorganisationen nach Lida. Jetzt sind wir die einzigen.“

Doch Koch fiebert auch aus persönlichen Gründen der Reise entgegen: „Ich will natürlich erfahren, wie es den Menschen in der Zwischenzeit ergangen ist.“ Er denke da etwa an die vielen Bekannten aus dem Krankenhaus oder vom Behindertenverband. „Leider haben wir auch einen Freund verloren. Der Pastor der katholischen Kirche in Lida ist mit 62 Jahren an Corona verstorben. Er hatte sogar ein Vereinsmitglied aus Boltenhagen und dessen Frau in Lida getraut.“ Nun bleibt allein der Gang zum Friedhof, um Abschied zu nehmen.

Ein Beispiel, das zeigt, wie eng die Verbindungen der Helfer mit den Menschen vor Ort sind. Und das wiederum ist am Ende auch ein guter Grund zu feiern, mit Pelmeni, Piroggen und Wodka - sobald endlich alles dort angekommen ist, wo es so dringend gebraucht wird.

 

„Da bleibe ich lieber in Weißrussland“

Gottfried Knauss (84) über die Unterschiede zwischen Deutschland und Belarus

Seit 1993 sind die Mitglieder der Lidahilfe aus Grevesmühlen in Weißrussland aktiv, denn vor allem in den 1990er Jahren lag die Wirtschaft in dem kleinen Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern am Boden. Seitdem ist viel passiert, das Land entwickelt sich. Auch wenn die Hilfe aus Deutschland nach wie vor notwendig ist, so hat sich das Leben in Belarus, wie das Land in russischer Sprache genannt wird, deutlich verbessert. Zwar verlassen vor allem junge Leute immer noch das Land, weil sie im Ausland bessere Chancen für sich sehen, doch im Gespräch mit den Menschen wird auch deutlich, dass Weißrussland anders ist als die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. Und warum sich für allem die Älteren hier sicher fühlen.

Maik Faasch im Gespröch mit gottfried KnaussMaik Faasch im Gespröch mit gottfried KnaussMaik Faasch, Mitglied der Lidahilfe aus Grevesmühlen und seit 1998 dabei, hat in Lida mit Gottfried Knauss gesprochen. Der 84-Jährige ist Russlanddeutscher und bewirtschaftet ein paar Kilometer außerhalb von Lida zusammen mit seiner Frau Ira, einer Russin, einen großen Garten. Im Gespräch mit der Lidahilfe erzählt er, warum er die Möglichkeit ausgeschlagen hat, in Deutschland zu leben.

„Zu viele Banditen in Russland“

Seine Familie, so berichtet der Mann mit der Schiebermütze, habe viele Jahre in Tula im westlichen Teil Russlands gelebt. Mit Ausbruch des Krieges wurden sie wie alle Russlanddeutsche nach Osten umgesiedelt. Kasachstan und Sibirien lauteten die Ziele, Familie Knauss landete in Sibirien, wo Gottfried geboren wurde. Er wuchs in der Sowjetunion auf, lernte später seine Frau Ira kennen. Sie fanden ein Zuhause in Lida in Weißrussland, wo sie bis heute leben. Sein Bruder und seine Schwester haben nach dem Zusammenbruch die Chance genutzt, um nach Deutschland überzusiedeln, in Hamburg und Lüneburg leben sie mit ihren Familien. Gottfried Knauss hat diese Chance auch. „Was soll ich da? Meine Frau spricht die Sprache nicht, einfach nur in einer Wohnung sitzen, das will ich nicht.“ Und als Alternative nach Russland ziehen? „Zu viele Banditen“, sagt seine Frau Ira. „Weißrussland ist sicher, hier ist es ordentlich, gut zum Leben.“ Ein paarmal hat er seine Verwandten in Deutschland besucht. „Aber nach ein paar Tagen reicht es dann auch.“

 

Dass Belarus seit der Präsidentschaft von Alexander Lukaschenko, der seit 1994 an der Spitze der Regierung steht, eine Diktatur ist, das wissen die beiden Rentner, die von knapp 500 Dollar Rente pro Monat leben. Aber Politik interessiert sie nicht, nicht mehr. „Damals in der Sowjetunion, da hatten wir ein gutes Leben.“

Gottfried war Kraftfahrer, hat alles gelenkt, was Räder hatte. Anfang der 1990er Jahre saß er am Steuer eines Busses, der die deutschen Ingenieure und Handwerker zu der Baustelle in Lida brachte, wo mit EU-Mitteln ein ganzes Wohnviertel für die zurückkehrenden Soldaten der Roten Armee gebaut wurde. „Da konnte ich endlich mal wieder deutsch sprechen“, erinnert sich der 84-Jährige. „Ich hörte nur, wie sich hinter mir Männer auf deutsch unterhielten und darüber sprachen, wie schlimm es denn hier aussehen würde. Da hab’ ich sie gefragt, warum sie denn hier sind, wenn es doch so schlimm ist.“

Gottfried Knauss (84), Russlanddeutscher aus Lida hat sich für ein Leben in Weißrussland mit seiner Frau Ira entschieden. Hier im Gespräch mit Maik Faasch von der Lidahilfe.Michael Prochnow

Wenn Gottfried Knauss Episoden aus seinem Leben erzählt, dann fällt erstaunlich oft das Wort „Sowjetunion“. Es sei ihnen besser gegangen damals, das Leben sei ruhiger und friedlicher gewesen. Seine Frau nickt zustimmend. „Und Weißrussland ist immer noch ein bisschen Sowjetunion.“

Die beiden Rentner haben ihr Auskommen, die 500 Dollar sind genug, um für die Enkel etwas beiseite zu legen, der Garten sorgt für Lebensmittel und Bewegung an der frischen Luft. Gottfried Knauss sieht nicht ansatzweise aus wie 84, was vielleicht auch daran liegt, dass er die Finger öfter vom Alkohol gelassen hat als seine Geschlechtsgenossen aus Belarus. Männer, und darüber gibt es unzählige Statistiken im Osten, erreichen hier oftmals nicht einmal das Rentenalter.

Und was ist eigentlich typisch deutsch? Denn im Pass des 84-Jährigen steht als Nationalität immer noch dieser Begriff. „Vielleicht bin ich doch etwas ordentlicher“, sagt Gottfried Knauss und lächelt: „Aber eigentlich ist das auch nicht so wichtig.“

 

 

OZ vom Mai 2016

 

Pressespiegel: Siehe Anhang 

 

Glosse: Mir war nicht ganz klar, was der junge Mann von der weißrussischen Mautbehörde wollte. Ich hatte unser Mautgerät vor zwei Minuten an der Tankstelle aufgeladen obwohl noch genügend Geld auf der Karte war. Aber „sicher ist sicher“ dachte ich mir und buchte 25 Euro obendrauf. Wir hatten die Grenze nach Belarus gerade eben überquert und noch keine Mautbrücke passiert, auf der Fahrt zuvor hatten wir alle Geräte ordnungsgemäß eingestellt. Es konnte also nichts passieren. 

„Sie sind vor fünf Monaten ohne Maut durch eine Kontrollstelle gefahren“, erklärte mir der Beamte . Ich dachte, ich hätte mich verhört. So gut ist mein russisch nämlich nicht. Doch zur Bestätigung zeigte er mir ein Foto, auf dem ich mit meinen Lkw zu sehen war. Inklusive Mautgerät, das an der Scheibe klebte. Das kann nicht sein, entgegnete ich. Ich habe das Gerät aufgeladen, es kann sich nur um einen Irrtum handeln. Doch Irrtümer sind im weißrussischen Behördendschungel nicht vorgesehen. „Das Foto ist der Beweis, 260 Euro kostet die Stafe.“ Ende der Diskussion. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir aufgrund ähnlicher Fallstricke bereits knapp 1700 Euro an Mautstrafen in Polen und Belarus gelassen. Geld, dass die Fahrer – also wir – aus eigener Tasche bezahlen. Aber es half nichts. Zahlen oder der Lkw bleibt stehen. Also die Kreditkarte raus, meine Nummer kannten die Beamten bereits, und zahlen. 

Wie sich später herausstellte, hat die weißrussische Mautbehörde in den ersten anderthalb Jahren mehr Geld durch Strafen eingenommen als durch die reguläre Maut. Wen wundert's? 

 

OZ vom 03.06.2011: 


Grevesmühlener helfen in Lida
40 Tonnen Hilfsgüter aus Nordwestmecklenburg wurden nach Weißrussland gebracht. Wirtschaftskrise stellt die Menschen vor Probleme. Hamsterkäufe bestimmen das Bild.



Norbert Koch (v. l.), Dirk Becker und Joachim Petkus von der Lidahilfe beim Entladen der insgesamt vier Lastwagen.
Foto: Prochnow

Grevesmühlen/Lida (OZ) - Über den Staat will Alexej nicht sprechen. „Was soll ich auch dazu sagen, wir kümmern uns um die Menschen, Jammern nützt nichts.“ Alexej ist der verantwortliche Geistliche in einer von sieben orthodoxen Gemeinden der weißrussischen Stadt Lida. Die Kirche im Stadtzentrum ist rund hundert Jahre alt, sie war zu Sowjetzeiten Museum und Kino. Und jetzt ist sie wieder Anlaufpunkt für die Menschen in der Stadt, die seit einigen Monaten eine der schwersten Wirtschaftskrisen des Landes erleben.
Seit einigen Jahren gibt es Kontakte zur Lidahilfe aus Grevesmühlen, die die Kirchgemeinde mit Hilfsgütern versorgt. Alexej gehört nicht zu den Menschen, die viel reden. Viele Probleme lösen er und die rund 40 ehrenamtlichen Gemeindeschwestern selbst. „Aber natürlich ist die Hilfe aus Deutschland willkommen, vor allem, wenn sie wirklich regelmäßig kommt.“ Und Unterstützung brauchen sie, ebenso wie die Poliklinik, das Gymnasium, der Behindertenverband und das Sozialamt, die in diesem Frühjahr mit rund 40 Tonnen Hilfsgütern aus Nordwestmecklenburg versorgt wurden. „Es gibt Geld vom Staat für einige Projekte“, erzählt Alexej. „Aber eben nicht für alle.“ Das Wohnprojekt für misshandelte Frauen stemmt die Gemeinde allein. Sie hat eine große Wohnung im Zentrum angemietet, in der Frauen mit ihren Kinder Zuflucht finden, die vor der Gewalt ihrer Männer fliehen. „Das gibt es sehr oft, aber diese Gewalt ist in der Öffentlichkeit kein Thema, man spricht nicht darüber, weil es so etwas offiziell nicht gibt.“ Alexej mag nicht einmal eine Dunkelziffer grob schätzen. „Tatsache ist, dass es mehr Nachfragen gibt, als wir Platz haben. Die Frage ist nur, wie lange wir dieses Projekt finanzieren können.“ Und das nächste ist bereits in Planung. Am Stadtrand soll eine mobile Küche entstehen, die die Obdachlosen — die es offiziell ebenfalls nicht gibt — mit einer warmen Mahlzeit versorgt. Der Umbau eines Wohnhauses auf einem Dorf nahe Lida liegt vorerst auf Eis, weil Geld und Genehmigungen fehlen. Die aktuelle Wirtschaftskrise macht die Situation nicht leichter. „Aber egal, was die Zukunft bringt, die Menschen erwarten Hilfe von der Kirche und sie werden sie auch bekommen.“ Unter anderem mit Unterstützung der Lidahilfe aus Grevesmühlen, die seit mittlerweile 17 Jahren Hilfstransporte organisiert. „Und das werden wir auch künftig weiter tun“, sagt Ekkehard Giewald, der nach dem Ausscheiden von Dieter Schwanbeck die Koordinierung der Lidahilfe übernommen hat. „Auch wenn in den vergangenen Jahren viel passiert ist in Lida, die Situation jetzt zeigt, dass es nach wie vor viele Menschen gibt, die auf Hilfe und Spenden angewiesen sind.“ Dazu gehören die Familienpakete aus Grevesmühlen ebenso wie die Möbel von Palmberg für die Poliklinik und das Gymnasium und die Kleiderspenden für das Sozialamt der 120 000 Einwohner zählenden Stadt. Dass es auch Rückschläge bei den verschiedenen Aktionen gibt, auch damit haben die Helfer aus Nordwestmecklenburg gelernt umzugehen. So sollte in diesem Frühjahr die Wohnung einer kinderreichen Familie saniert werden. Dafür waren extra Handwerker mitgereist. Doch die Familie in Lida wusste nichts von dem Termin, die Eltern waren nicht Zuhause, die Wohnung nicht leergeräumt. Wer am Ende wen nicht angerufen hat, spielt heute keine Rolle mehr. „Ärgerlich, aber nicht zu ändern“, so Ekkehard Giewald. Das Sozialamt der Stadt will nun versuchen, mit eigenen Handwerkern das Material zu verarbeiten, das bereits seit Anfang April in der Wohnung lagert. „Es wird einen Weg geben, um das Projekt zu Ende zu führen.“
* Der Autor ist Mitglied des Vereins Lidahilfe und hat diesen Transport begleitet.